Fridays-for-Future und COVID-19 weisen aus unterschiedlichen Perspektiven darauf hin, dass wir schnellstens eine neue Art des Wirtschaftens brauchen. Die neuen Anforderungen an die Berichterstattung sind erste Schritte in die richtige Richtung. Der Begriff Cradle to Cradle kann als Stellvertreter für das neue Denken gelten.
Von Jan-Dirk Seiler-Hausmann, berichtsmanufaktur GmbH; (erschienen im Kompendium Sustainable Publishing 2020, hier leicht gekürzt)
Gesellschaft und Politik nehmen die Unternehmen in die Pflicht
Die Stakeholder erwarten von den Unternehmen heute, dass diese Verantwortung übernehmen – für die Umwelt, derer Ressourcen sie sich bedienen, für die Menschen, die sie in ihre Wertschöpfungsprozesse einbinden, und für die Gesellschaft, die als Abnehmer der Produkte und Leistungen den wirtschaftlichen Erfolg ermöglicht.
Die Politik hat daher Leitplanken festgelegt: Ende 2019 hat die Europäische Kommission einen europäischen Grünen Deal angekündigt. Dieser sieht vor, 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freizusetzen und damit klimaneutral zu sein, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln und alle Bürger in der EU an diesem nachhaltigen Wirtschaften teilhaben zu lassen. Im Zentrum der Maßnahmen stehen die Förderung einer effizienten Ressourcennutzung durch den Übergang zu einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft (Circular Economy) sowie die Wiederherstellung der Biodiversität. In den nächsten Jahren wird die EU weitere Vorschläge unterbreiten.
Der Europäische grüne Deal
Klar ist: Die anspruchsvollen Klimaziele der Regulatoren werden dazu führen, dass sich die gesetzlichen Vorschriften für die Berichterstattung in den kommenden Jahren erhöhen. Die EU hat Empfehlungen zur Klimaberichterstattung veröffentlicht und die Direktive 2014/95/EU – in Deutschland das CSR-RUG – wird derzeit überprüft mit Blick auf weitere Anpassungsempfehlungen. Auch wenn die Umsetzung in nationales Recht noch dauern dürfte, ist sicher, dass die nichtfinanzielle Berichterstattung an Bedeutung gewinnt. Und es ist davon auszugehen, dass die Klimaberichtserstattung darin eine stärkere Berücksichtigung findet. Die Komplexität der Finanzberichterstattung wird also zunehmen.
Klimaberichterstattung
Auch die Covid-19-Pandemie wird Folgen für die kommende Berichtssaison haben: Eine verlässliche, die Risiken benennende Geschäftsberichterstattung ist die Voraussetzung für das Vertrauen aller Stakeholder in das Unternehmen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat dazu sogenannte Corona-Papiere veröffentlicht, die Orientierung zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Rechnungslegung, Berichterstattung und Prüfung aufzeigen. Die Darstellung des zukünftigen Geschäftsmodells im Geschäftsbericht wird also weiter an Bedeutung gewinnen – genauso wie das nachhaltige Wirtschaften im Kreislauf.
Neue Strategien stärken die Resilienz
Die Kundgebungen der Fridays-for-Future-Bewegung und die gegenwärtigen Folgen der Covid-19-Pandemie auf Gesellschaft und Wirtschaft zeigen, wie wichtig es ist, dass die Unternehmen ihre Ziele und Strategien regelmäßig eingehend prüfen. Wenn der Nutzen vom einen auf den anderen Tag wegfällt, Lieferketten nicht mehr aufrechterhalten werden können und Risiken nicht richtig bewertet werden, wird schnell das Geschäftsmodell infrage gestellt. Dies gefährdet heute nicht nur einzelne Unternehmen, sondern aufgrund der umfassenden unternehmerischen Verflechtungen auch die Stabilität einer Branche oder gar einer ganzen Volkswirtschaft.
Wollen die Unternehmen relevante Themen sicher mitgestalten und die Resilienz ihres Geschäfts (Business Continuity) sicherstellen, muss die Überprüfung des Markts und der wesentlichen Themen wie Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (kurz ESG) und Lieferketten in Unternehmen sowie in der Berichterstattung ein stärkeres Gewicht bekommen. Darüber muss zukünftig ausführlicher berichtet werden: Der Leser von Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten möchte mehr über die Zukunftsfähigkeit bzw. über die nachhaltige Tragfähigkeit des Geschäfts wissen. Das Thema Vertrauen steht mehr denn je im Mittelpunkt der Geschäfts- bzw. Nachhaltigkeitsberichterstattung.
Cradle to Cradle im Druck – Spiegel des Selbstverständnisses
Ab 2020 ist die XBRL-Berichterstattung verpflichtend. Unternehmen müssen nun strukturiert und einheitlich in Europa digital berichten. Damit wird sich die Transparenz nach und nach erhöhen und die Vergleichbarkeit zunehmen. Das heißt: Die Online-Berichterstattung geht in eine neue Dimension.
Gleichzeitig eröffnen sich dadurch neue Chancen für den Druck: Print bleibt weiter ein Kanal, der eine bewusste, langfristige Kommunikation ermöglicht. Dies lässt sich durch einen Cradle-to-Cradle-zertifizierten Druck unterstreichen. Er ermöglicht Druckobjekte, die in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können – ohne Umweltauswirkungen.
Der österreichische Feuerwehrfahrzeughersteller Rosenbauer International AG hat 2019 seinen Geschäftsbericht und die Kurzfassung des Nachhaltigkeitsberichts erstmals mit Cradle-to-Cradle-zertifiziertem Papier und entsprechenden Farben produzieren lassen. So hat das Unternehmen sichergestellt, dass die Berichte kompostiert und damit in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können. Aber nicht nur das Papier und die Farben, sondern auch der gesamte Prozess ist durch die Druckerei klimapositiv: Die Produktion hat mehr CO2-Emissionen gebunden, als für den Druck benötigt wurden.
Die Entscheidung für eine solche Berichtsproduktion kann ein Unternehmen als glaubwürdiges Signal für sein Selbstverständnis nutzen. Auch wenn es nicht gleich die gesamte Produktion ist, lässt sich mit dem gedruckten Bericht ein symbolträchtiger Schritt tun. Das ebenso hochwertige wie beliebte Papier Munken von INAPA befindet sich gerade im Cradle-to-Cradle-Zertifizierungsprozess.
Mit Home-Office und virtuellen Aktionärsversammlungen hat das Thema digitale Kommunikation in den letzten Monaten ein neues Level erreicht. Häufig übersehen wird dabei: Auch die digitalen Prozesse verursachen erhebliche CO2-Emissionen. Deshalb ist es wichtig, dass auch diese angemessen erfasst und bewertet werden. Hierrüber sollten Unternehmen zukünftig mehr berichten und ihre Online-Berichte ebenfalls klimaneutral stellen.
Ein Signal im Reporting 2020
Was bleibt festzuhalten? Die Anforderungen an die Berichterstattung für 2020 werden vielfältiger sein als die für das vergangene Jahr. Daraus erwächst eine große Aufgabe für Unternehmen. Gleichzeitig müssen die Unternehmen gegenüber unterschiedlichen Stakeholdern glaubhaft vermitteln, dass ihr Geschäftsmodell weiterhin eine Zukunft hat. Langfristig heißt das, klimaneutral zu wirtschaften. Das wird – abhängig von der weiteren Entwicklung der Pandemie – nicht einfach sein. Dass Unternehmen die Zeichen der Zeit verstehen, ist der erste Schritt für Veränderung im Reporting. Und so könnten sie sich mit ihrer Berichterstattung neu und im Sinne einer Cradle-to-Cradle Kreislaufwirtschaft digital und analog präsentieren.
Cradle to Cradle zu Deutsch: „von der Wiege zu Wiege“ beschreibt das Konzept einer sauberen Kreislaufwirtschaft (Circular Economy), in der alles zurückgeführt wird. Das Prinzip wurde Ende der 1990er-Jahre von dem deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough entworfen. Cradle-to-Cradle-Produkte werden entweder als biologische Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückgeführt oder können als „technische Nährstoffe“ kontinuierlich in technischen Kreisläufen gehalten werden. In diesem System gibt es keinen Müll und das Wirtschaften erfolgt innerhalb der „natürlichen“ Grenzen des Wachstums. |